Sonntag, 22. April 2018

Kirschblüte


Unser Kirschbaum blüht. Wie jedes Jahr sieht es einfach wunderschön aus. All die vielen weißen Blüten, die in ihrer Gesamtheit aussehen, als hätte der Baum sein Hochzeitskleid angelegt und wartete nur auf den Bräutigam. In meiner Kindheit erschien dieser Bräutigam in Form von hunderten Bienen. Wenn ich unter unserem Kirschbaum lag, summte und brummte es. Wohin man auch sah, überall wuselten Insekten, Honigbienen konkurrierten mit Wildbienen um die zahlreichen Blüten. Im Sommer ernteten wir eimerweise Kirschen. Meine Oma kochte Glas um Glas ein und wir bekamen den ganzen Winter über Kirschen als Nachtisch vorgesetzt. Nicht immer zu meiner Freude, denn häufig schwammen Maden auf dem Kirschwasser. Meine Oma nahm es gelassen, schöpfte sie ab und sagte: „Dann sind wenigstens keine mehr in den Kirschen.“ Aber auch dieser Satz konnte meinen Appetit nicht anregen.

Gestern lag ich wieder unter unserem Kirschbaum. Ein anderer dieses Mal, weil auch der Garten ein anderer geworden ist. Ich schloss die Augen und lauschte. Die Spatzen pfiffen, die Amseln zwitscherten. Das leise Flügelschlagen der Vögel, die auf Futter- und Nistmaterialsuche waren, hörte ich laut. Ich strengte mich an. Und da, tatsächlich. Da war ein Brummen von winzigen Flügeln. Ich öffnete die Augen, blinzelte in das helle Licht, suchte eine Blüte nach der anderen ab, doch sie waren leer. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ja, es sind nur Kirschen und nur in unserem Garten. Aber wenn unser Garten schon insektenleer ist, wie ist es um die anderen Gärten dieser Welt bestellt? Wo sind all unsere fleißigen Helfer hin?

Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen, die alle belegen, dass unsere Insekten weniger werden. Um ehrlich zu sein, bräuchte ich keine Einzige davon, um dasselbe festzustellen. Als ich noch Kind war und wir ins Freibad gingen, hatte meine Mutter immer eine aufgeschnittene Zwiebel dabei. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Schwester oder ich in eine Honigbiene traten, die von einer Kleeblüte zur nächsten schwebte, war riesengroß. Bei meinem Kind muss ich mir deswegen keine Sorgen machen. JF kann barfuß über die Wiesen tollen, ohne Gefahr zu laufen, sich einen Stich zuzuziehen. Wenn ich damals im Hochsommer ein Eis aß, durfte ich meine Augen nicht von ihm lassen, denn Wespen belagerten jede Süßigkeit, die im Freien zu finden war. Sehe ich heute eine Wespe, würde ich ihr mein Eis am liebsten aus Solidarität überlassen.

Inzwischen sind die meisten Plätze im Insektenhotel belegt.
Ich muss mir kaum Sorgen machen, dass mein Kind von einer Biene gestochen wird. Und dies gibt mir Anlass dazu, mich noch viel mehr zu sorgen. Wie sehr würde ich mir wünschen, er träte in eine Biene, so wie ich es früher tat und dafür wäre seine Welt noch in Ordnung. Ein Planet, auf dem unsere Kinder und Enkelkinder sorgenfrei leben können.

Was bleibt ist die Hoffnung, dass wir es doch noch schaffen unser Leben zu ändern. Jeder kleine Schritt zählt. Geben wir den Insekten wieder Platz in unseren Gärten, Nahrung auf den Wiesen und eine Umgebung ohne Gift.

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